“...und so bin ich direkt über der Rockfabrik eingezogen. Ich fand das damals geil, direkt über der Diskothek eine Wohnung haben……”
Wolfgang “Hasche” Hagemann sitzt lachend in seinem “Wohnzimmer”, direkt vor der Tanzfläche in der Rockfabrik Ludwigsburg. Es ist schon der achte Drehtag für unsere Musik-Doku “Heart and Soul” und ein ganz besonderer für unser Team.
Eigentlich ist Hasche Drummer. Bis 1987 spielte er in der Heavy Metal Band “Running Wild”, eine Karriere die ihn mehrmals um die Welt führte. Dann hängte er die Schlagzeugsticks an den Nagel. “Running Wild” spielte weiter, die Metal-Piraten sind in veränderter Besetzung sogar heute noch auf Tour, doch Hasche startete damals in sein wahrscheinlich größtes Abenteuer - in Ludwigsburg, in der Rockfabrik. Ein Redakteur des Musikmagazins “Metal Hammer” nahm ihn mit in die “RoFa”, die damals größte Rockdiskothek im deutschsprachigen Raum - kurz darauf war Hasche engagiert. Seitdem ist er das Aushängeschild der RoFa.
Wer sich ein bisschen mit der “Karriere” der Rockfabrik Ludwigsburg beschäftigt, dem wird schnell klar, dass diese Institution mehr ist als lediglich eine Großraum-Diskothek. “Bei uns gab’s von Anfang an keine Gesichtskontrolle”, erzählt Hasche. “Wir wollten, dass jeder kommen kann.
Wenn einer Anzug tragen will, dann soll er das von mir aus machen. Der wird dann vielleicht manchmal komisch angeguckt, aber es ist ok.” Jeder sollte dazugehören, egal aus welcher Gesellschaftsschicht er kam, welche Hautfarbe oder Herkunft jemand hatte. Die RoFa sollte ein Melting Pot der Gesellschaft sein - natürlich mit barrierefreiem Zugang. Ganz wichtig: die Charts waren für die DJs der RoFa nie ausschlaggebend.
Pop gab es nicht zu hören in der Rockfabrik - der Name war Programm. Und Live Acts sollte es geben. Hasches Kontakte aus seiner Rockstar-Zeit halfen da natürlich, denn sie kamen alle.
Egal ob Motörhead, Metallica, Iron Maiden oder Queen, Bon Jovi oder Bonfire, Mötley Crüe, die Scorpions oder Manowar - die Liste an Weltstars, die in der Rockfabrik gastierten, ist endlos. “Heiliger Boden”, wie Hasche grinst.
Auch deshalb: Unser Drehtag in der Rockfabrik ist etwas besonderes für unser Filmteam.
So viel Geschichte steckt in diesen Hallen und so viel Enthusiasmus sprüht noch immer aus Hasche Hagemann, wenn er von seinem Leben in und mit der RoFa erzählt.
Acres Wild in der Rockfabrik
“Ich wollte damals unbedingt einen Nachwuchswettbewerb für Rockbands ins Leben rufen”, erzählt er uns im Interview: “Weil ich es immer scheiße fand, dass ich als junger Schlagzeuger mit Rockmusik nirgends auftreten konnte. Das wollte ich ändern.” Und das tat er auch.
Gemeinsam mit dem Medienpartner “Metal Hammer”, der Top-Adresse in Sachen Rockmusik-Magazinen, rief er den “Rockfabrik/Metal Hammer-Nachwuchswettbewerb” ins Leben. Junge, unbekannte Rockbands konnten ein Demotape einschicken. “Ich habe für den ersten Wettbewerb über 1000 Kassetten geschickt bekommen. Ich war 15 Stunden am Tag mit Anhören beschäftigt”, lacht Hasche. 33 Bands wurden für die erste Runde eingeladen. “Für die meisten Bands war es schon eine Ehre, überhaupt nur dabei zu sein.”
Eine Ehre, die 1992 auch der Scaramouche-Vorgänger-Band Acres Wild zuteil wurde. Bewertet von einer Jury aus Musikern, Produzenten, Journalisten und Label-Profis schafften es unsere fünf Protagonisten sogar bis ins Finale. Am Ende reicht es “nur” zu Platz vier. Was den Musikern von Acres Wild überhaupt nicht schmeckte. “Das war schrecklich”, gibt Gitarrist Gert Endres heute unumwunden zu. Durch die hochkarätige Jury hatte man sich viel für die Zukunft erhofft - bis hin zum Plattenvertrag.
Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass die Band kaum Presseartikel zum Wettbewerb aufgehoben hat. “Wir waren schon richtig enttäuscht”, erinnert sich auch Bassist Thomas Schwendemann. Zumindest Platz drei hatten sie erwartet, auch wenn Gert heute sagt: “Die anderen Bands waren schon auch richtig gut.”
Den Wettbewerb gewann damals “No Remorse In Paradise” vor “Enslaved” und “Abraxas”. Acres Wild erfand sich übrigens nur wenige Monate später neu und nannte sich um: Scaramouche war geboren. Ob es am Wettbewerb-Ergebnis lag oder an etwas anderem erzählen wir natürlich noch nicht. Wir haben’s ja versprochen: Keine Spoiler...
Die RoFa tritt ab - Schluss nach 36 Jahren
“Ich kann mich, ehrlich gesagt, nicht mehr genau an den Auftritt von Acres Wild erinnern”, gibt Hasche im Interview zu. An eines erinnert er sich aber doch. An Drummer Marc Vetter, der während seines Schlagzeugsolos gleichzeitig Trompete spielte: “So einen Verrückten sieht man ja auch nicht oft”, lacht Hasche. Er lacht sowieso viel während des gesamten Drehtags. Die Stimmung ist locker und gelöst, erst recht, als wir unseren Kameramann Lukas Karl im Einkaufswagen durch die leere Rockfabrik schieben. So bleibt das Bild stabil, fast wie auf Schienen. Sieht aber von außen - zugegeben - einfach komisch aus…
Nur einmal wird Hasche melancholisch während dieses Interviews. Als es um die Zukunft der Rockfabrik geht. Nach 36 Jahren will der Vermieter der Räumlichkeiten den Vertrag nicht mehr verlängern. Warum, das verrät er bislang nicht. Keine Gesprächsbereitschaft. Am 31.12.2019 schließt die RoFa ihre Tore. Für immer.
Unterstützer hat die Rockfabrik viele, namhafte Bands wie beispielsweise die Scorpions meldeten sich mit Videos zu Wort und plädierten für einen Verbleib der Rock-Institution. Viele tausend Anhänger sammelten sich zu einer Unterstützer-Demo in Ludwigsburg. “Bei der großen Demo bin ich natürlich auch auf die Bühne gegangen um etwas zu sagen. Ich musste aber abbrechen, weil mir die Tränen gekommen sind”, erzählt er uns. Und auch jetzt bittet Hasche um eine kurze Pause. Über das Ende der RoFa zu sprechen fällt ihm schwer. Verständlicherweise.
Aufgeben ist aber trotzdem nicht seins. Bereits nächstes Jahr wird Hasche eine neue Location übernehmen:
Die “Rock Factory” - aber nicht in Ludwigsburg, sondern in Thailand. Ein weiteres Abenteuer für Wolfgang “Hasche” Hagemann.
Einen Tag nach unserem Dreh in der Rockfabrik erhalten wir eine Mail von Hasche: “Hallo Jungs. Nun seht mal, was ich für euch hab rauskramen lassen”, steht da. Im Anhang finden wir jede Menge Fotos von Zeitungsausschnitten. Tatsächlich, die Konzertkritik vom Finale 1992:
“Der starke Chorgesang und ein Schlagzeugsolo, in dem der Schlagzeuger gleichzeitig (!) ein paar Melodien auf der Trompete zum Besten gab, unterstrichen eindrucksvoll, dass man kommerziellen Hardrock durchaus noch kreativ gestalten kann”, ist da zu lesen.
“Die Zeitungen hab ich jetzt bei mir im Büro, falls ihr sie benötigt”, teilt Hasche uns mit. Ein weiterer Grund für uns, die Rockfabrik noch einmal zu besuchen bevor sie schließt. Als hätte es noch einen gebraucht. Wir freuen uns jedenfalls sehr darauf.
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